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Last Exit Reno

Last Exit Reno

OT: Hard Eight
THRILLER: USA, 1996
Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Philip Baker Hall, John C. Reilly, Gwyneth Paltrow, Samuel L. Jackson, Philip Seymour Hoffman

STORY:

Noch diese Woche läuft in Österreichs Kinos Paul Thomas Andersons lange erwarteter, achtfach Oscar-nominierter Film 'There Will Be Blood' an. Um zuvor noch die filmtipps.at-Bibliothek mit sämtlichen bisherigen Werken des Regisseurs zu komplettieren, darf natürlich auch sein heute schwer zu findender Erstling 'Last Exit Reno' nicht fehlen. Doch dieser Film ist nicht nur aufgrund vieler Vorboten auf seine kommenden Werke einen Blick wert - er ist durchaus auch ein in sich geschlossener, gelungener Thriller und bereits stark gezeichnet von der persönlichen Handschrift Andersons.

Die Geschichte beginnt vor einem Cafe, irgendwo in der Wüste von Nevada. Dort sitzt John (John C. Reilly) vor dem Eingang, abgebrannt bis auf den letzten Cent - alles Geld in Las Vegas verspielt. Er ist überrascht, als ihn ein älterer, gut gekleideter Mann zu einer Tasse Kaffee und vielleicht auch einer Zigarette einlädt. Er stellt sich als Sydney (Philip Baker Hall) vor und interessiert sich für Johns Aufenthalt in Vegas und die Gründe, die zu seiner Situation geführt haben. Als Sydney erfährt, dass John Geld gewinnen wollte, um die Beerdigung seiner Mutter zu finanzieren, verspricht Sydney ihm zumindest wieder auf die Beine zu helfen - er solle mit nach Vegas kommen. Irritiert über das unerwartete Hilfsangebot muss allerdings erst noch Überzeugungsarbeit geleistet werden - doch in der ausweglosen Situation, in der John steckt, willigt er schließlich eher widerwillig ein … sofern er im Auto auf der Rückbank sitzen darf. Man weiß ja nie was alte Männer so im Schilde führen...

KRITIK:

Paul Thomas Anderson liebt es, bereits zu Beginn eines Films jede Menge Fragen aufzuwerfen. Nicht anders in seinem Erstlingswerk "Sydney" (so der vom Regisseur gewählte Originaltitel, der allerdings vom Filmstudio auf "Hard Eight" geändert und in Folge im deutschsprachigen Raum als "Last Exit Reno" veröffentlicht wurde). Man bleibt im Unklaren über die Gründe, warum Sydney John von der Straße aufsammelt, ihn zu einem Kaffee einlädt und schließlich sogar sein Glücksspiel-Coach wird. Reine Gutmütigkeit? Die Suche nach einem Freund?

Auch Andersons ungewöhnliche Regiearbeit sticht bereits in den ersten Szenen genauso ins Auge wie die eigenwillige Kamera von Robert Elswit (der sich in der Folge auch für die Kamera jedes weiteren Anderson-Films verantwortlich zeichnen wird). Wer die weiteren Projekte des Autorenfilmers wie 'Magnolia' oder 'Boogie Nights' kennt, wird in der Folge noch zahlreiche weitere Übereinstimmungen finden: Das Augenscheinlichste sind selbstverständlich die Schauspieler - sowohl John C. Reilly als auch Philip Baker Hall werden in späteren Filmen zu sehen sein. Doch auch Philip Seymour Hoffman und Melora Walters sind hier bereits in kurzen Rollen zu sehen (Hoffman wie immer bestechend gut).

Auch bei der Wahl der Musik fällt Bekanntes auf: das eingespielte, bedrohliche "Tubular Bells" werden wir in 'Boogie Nights' wieder hören und Aimee Mann, die den Soundtrack zu 'Magnolia' geschrieben hat, hat hier ebenso einen Song beigesteuert.

Deutlich erkennbar auch bereits Paul Thomas Andersons Liebe zur Steadycam - sie kommt sogar für mehrere Szenen zum Zug, wirkt aber manchmal noch nicht so souverän geführt wie später zum Beispiel in 'Magnolia'.

Natürlich hat Anderson auch für 'Last Exit Reno' das Buch selbst geschrieben. Dieses erinnert aber sowohl von der Struktur als auch von der Story her mehr an das kleine aber feine 'Punch-Drunk Love' als an seine 2 ½-Stunden-Dramen. Wie immer liegt die Fokussierung aber klar auf starke Charaktere und Dialoge. Ein Glück, dass ihm bereits in seinem ersten Film ein derart großes Repertoire an hochklassigen Schauspielern zur Verfügung steht, die dem anspruchsvollen Drehbuch auch gewachsen sind. Neben den bereits erwähnten sind vor allem noch Samuel L. Jackson und Gwyneth Paltrow hervorzuheben, die beide auf sehr hohem Level spielen.

'Last Exit Reno' zieht daher sein Leben großteils aus den handelnden Charakteren, die allesamt reges Interesse beim Zuschauer erwecken. Anderson begleitet sie über mehrere Jahre und gleichzeitig auch den Zuschauer durch mehrere Phasen. Zuerst liegt das Interesse beim Versuch von John, mit Hilfe von Sydney in Vegas Fuß zu fassen und Geld in die Tasche zu bekommen. Dass das nicht ganz ohne den einen oder anderen vielleicht nicht zu hundert Prozent legalen Trick passiert, ist natürlich klar.

In der Folge werden wir dann in die daraus entstehende tiefe Freundschaft der beiden Hauptdarsteller eingeführt. Man wird sich hier allerdings wieder fragen, warum Sydney ausgerechnet John derart geholfen hat und eine Freundschaft zu ihm aufgebaut hat. Als Sydney dann aber auch breitwillig der Kellnerin und Prostituierten Clementine (Paltrow) hilft, scheint klar zu sein, dass er entweder wirklich ein "guter Tropf" ist oder zumindest nicht mehr will als Ersatzliebe für seine Kinder zu bekommen, die er schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat.

Doch die Aufnahme von Clementine in sein Umfeld hat Folgen. John verliebt sich Hals über Kopf in sie und nicht viel später sind sie nach einer Spontanhochzeit verheiratet. Doch noch am Hochzeitstag schnappt sie sich hinter dem Rücken von John einen Freier. Nun beginnen einige Fassaden zu bröckeln …

Wenn man in Hollywood Arthouse-Kino machen möchte, hat man es schwer. Anderson konnte das zum Glück bereits bei seinem ersten Film erfahren: Das Studio hat nicht nur eigenmächtig den Titel geändert, sondern auch den Film komplett neu schneiden lassen. Doch wer von seinem Werk überzeugt ist, lässt sich so leicht nicht unterkriegen: Am Ende hat Anderson den neuen Titel akzeptiert, dafür aber durchgesetzt, dass sein Originalschnitt veröffentlicht wird. Das Ergebnis ist ein feiner Thriller, dessen Titel nicht nur in der deutschen Fassung etwas deplaziert wirkt. Verkraftbar ob des ansonsten wirklich respektablen Ergebnisses.

Last Exit Reno Bild 1
Last Exit Reno Bild 2
Last Exit Reno Bild 3
Last Exit Reno Bild 4
Last Exit Reno Bild 5
FAZIT:

Andersons Geschichte mag zwar noch nicht die Komplexität und Qualität späterer Produktionen erreichen, doch sein Gespür für das Erzählen einer guten Geschichte ist bereits in diesem Werk klar zu sehen. Zusammen mit seiner gleichzeitig bodenständigen wie innovativen Regiearbeit, der unnachahmlichen Kamera von Robert Elswit und gleich einem halben Dutzend hochkarätiger Schauspieler, die heute zumindest zum Teil zu den Filetstücken Hollywoods gehören, machen diesen Film zu etwas besonderem. 'There Will Be Blood' wird uns diese Woche dann wohl einen ganz anderen Paul Thomas Anderson zeigen. Bis auf Robert Elswit wurde jede Konstante aus Andersons bisheriger Regiearbeit entfernt.

WERTUNG: 7 von 10 Streichholz-Großpackungen
TEXT © Bernhard König
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