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Wahre Lügen

Wahre Lügen

OT: Where the Truth Lies
DRAMA/NEO-NOIR: KANADA/GB/USA, 2005
Regie: Atom Egoyan
Darsteller: Kevin Bacon, Colin Firth, Alison Lohman

STORY:

Die beiden Komiker Lanny Morris (Kevin Bacon) und Vince Collins (Colin Firth) sind in den 50er Jahren ein geradezu legendäres Duo im US-amerikanischen Fernsehen. Dabei spielt Vince den biederen Saubermann und Lanny den durchtriebenen Verrückten. Aber hinter der Bühne führen beide ein ausschweifendes Leben mit Sex, Drugs und Luxus. Doch ihr sorgloses Dasein findet 1957 ein abruptes Ende, als ein totes Mädchen in ihrem Hotelzimmer gefunden wird. Mit letzter Kraft beenden sie ein im Fernsehen übertragenes Spendenmarathon zugunsten poliokranker Kinder. Man kann den beiden zwar nichts nachweisen. Aber kurz darauf trennen sie sich, ohne dass die Öffentlichkeit den Grund erfährt.

Fünfzehn Jahre später entschließt sich Vince für eine Million Dollar seine Erinnerungen an die vergangene große Zeit zu veröffentlichen. Der beauftragte Verlag entsendet die Reporterin Karen (Alison Lohman), die 1957 als Kind bei dem Spendenmarathon bei den beiden Komikern auf der Bühne stand. Und während Karen mühsam versucht, den wahren damaligen Begebenheiten auf die Spur zu kommen, bekommt das Bild ihrer einstmaligen "Retter" immer mehr Risse und vor ihr tut sich ein immer größerer moralischer Abgrund und ein nur schwer durchschaubares Netz aus Täuschungen und Lügen auf ...

KRITIK:

Der Film WAHRE LÜGEN aus dem Jahre 2005 ist der erste Mainstreamfilm des kanadischen Autorenfilmers Atom Egoyan, der erstmals mit EXOTICA (1994) international auf sich aufmerksam gemacht hatte. Doch während viele andere Autorenfilmer in Hollywood nur verwässerte Versionen ihrer persönlichen künstlerischen Visionen zu Stande bringen, zeigte sich der Kanadier versuchten Bevormundungen gegenüber erstaunlich resistent.

So hatte die "freiwillige Selbstkontrolle" der US-amerikanischen Filmindustrie die für die prüden Amerikaner reichlich expliziten Sexszenen bemängelt. Aber nachdem der Film auch in einer leicht gekürzten Fassung nicht von den alten Herren abgenickt wurde, hat Egoyan den Film einfach ungekürzt, und somit ohne Jugendfreigabe, ins Kino gebracht. So wurde der Film in den USA zwar kein kommerzieller Erfolg, aber dafür hat Egoyan der Welt mit WAHRE LÜGEN ein wahres Meisterwerk geschenkt.

Dabei sind die betreffenden Sexszenen für europäische Verhältnisse alles andere als spektakulär. Aber scheinbar sieß die Verbindung mit Drogen und teilweise vorhandener Homoerotik den grauen Eminenzen ein wenig sauer auf. Anscheinend sahen sie in dem Film (berechtigterweise) auch eine versteckte Kritik an dem eigenen Geschäft. Dabei geht Egoyan jedoch niemals so offensiv vor, wie seinerzeit Jean-Luc Godard mit DIE VERACHTUNG, der die Hollywoodkarriere seines Regisseurs abrupt beendete, bevor sie überhaupt richtig beginnen konnte.

Auf den ersten Blick ist WAHRE LÜGEN tatsächlich eine äußerst gefällige Mischung aus Neo-Noir und den Melodramen der 50er Jahre. Dass diese beiden so verschiedenen Filmrichtungen hier auf geniale Weise zusammenfinden, liegt daran, dass sich Egoyan nicht für einen klassischen Film noir entschieden hat, sondern für das Subgenre des Sunshine-Noirs. Dieser erzeugt seine düstere Atmosphäre nicht durch eine Handlung bei Nacht und Nebel, sondern durch abgründige Vorkommnisse bei prallem Sonnenschein. Ein klassisches Beispiel ist der Film NIAGARA mit Marilyn Monroe aus dem Jahr 1953. Zu den Neo-Sunshine-Noirs gehört z.B. der heute fast vergessene HOT SPOT - SPIEL MIT DEM FEUER (1990) von Dennis Hopper.

Der Begriff "Sunshine-Noir" ist ja bereits ein Widerspruch in sich. Und er passt perfekt zu dem Gegensatz zwischen der scheinbar so heiteren, oberflächlichen Welt des Showbiz im spießigen Amerika der 50er Jahre und den dahinter im Verborgenen liegenden, finsteren Abgründen. Da ist erlaubt, sich alles einzuschmeißen, was nicht gespritzt werden muss. Und da wird auch geprügelt und gevögelt, was das Zeug hält. Es gibt illegale Absprachen und mafiöse Verbindungen. Und wenn das Ganze schließlich in einem Mord gipfelt, so kommt das für den, der einen Blick hinter die Kulissen werfen konnte, auch nicht wirklich überraschend.

Oberflächlich betrachtet haben wir es hier mit einem recht straighten Whodunit-Plot zu tun. Aber die Suche nach dem Mörder dient in WAHRE LÜGEN nur als der rote Faden, um in dem komplexen Geflecht aus unterschiedlichen Zeitebenen, Erzählperspektiven und Versionen der Wahrheit nicht den Überblick zu verlieren. Und da es sich hier um einen echten Atom Egoyan-Film handelt, geht es letzten Endes auch nicht wirklich vorrangig darum, was damals tatsächlich passiert ist, sondern darum, was dies mit den Beteiligten Personen gemacht hat.

So finden sich auch in WAHRE LÜGEN die für Egoyan typischen Obsessionen. Wie in EXOTICA oder DAS SÜSSE JENSEITS handelt der Film erneut von verdrängten Traumata, von dem Selbstschutz dienenden, abweichenden Versionen der Wahrheit und von einem schwer durchschaubaren Netz gegenseitiger Abhängigkeiten. Aber WAHRE LÜGEN geht hier sogar noch einen Schritt weiter. Die größten Pointen verdankt der Film nicht der Entlarvung von Lügen, sondern der überraschendsten Korrektur dessen, was verschiedene Personen tatsächlich die ganze Zeit für wahr gehalten hatten.

Diese verdeckte Komplexität kommt bereits wunderbar in dem raffinierten Originaltitel zum Ausdruck. Denn WHERE THE TRUTH LIES lässt sich sowohl mit "wo die Wahrheit lügt", als auch mit "wo die Wahrheit liegt" übersetzen. Aber trotz all dieser Komplexitäten, ist WAHRE LÜGEN zugleich ein wunderbar leichter und unterhaltsamer Film geworden, bei dem von vorne bis hinten einfach alles stimmt.

Optisch ist WAHRE LÜGEN ein unglaublicher Genuss, bei dem ein erlesenes Tableau auf das andere folgt. Und Kevin Bacon und Colin Firth verkörpern ihre Charaktere auf absolut geniale Weise und auch alle anderen Darsteller, wie z.B. Alison Lohman in der Rolle von Karen, wissen restlos zu überzeugen. Das Drehbuch hat nicht einen einzigen Hänger und auch die Dialoge sind vom ersten bis zum letzten Satz ebenso spritzig wie genial. Um es kurz zu machen: WAHRE LÜGEN ist ein in jeder Hinsicht absolut beeindruckender, makelloser Film und der wahrscheinlich beste Neo-Noir seit Curtis Hansons L.A. CONFIDENTIAL. Deshalb ist für diesen Geniestreich von Atom Egoyan die Höchstwertung gerade gut genug!

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FAZIT:

In dem Neo-Noir WAHRE LÜGEN vereint der Kanadier Atom Egoyan auf absolut perfekte Weise die komplexe Dramaturgie seiner vorherigen Autorenfilme wie EXOTICA und DAS SÜSSE JENSEITS mit der packenden Erzählweise der besten Crimedramen Hollywoods wie CHINATOWN und L.A. CONFIDENTIAL. Der Film ist ein gleichermaßen witziges und spritziges modernes Märchen, wie auch ein trauriges und bedrückendes Melodram, dass unter der strahlenden Sonne von L.A. verborgene, tiefe menschliche Abgründe enthüllt. Mit anderen Worten: WAHRE LÜGEN ist ein Klassiker für die Ewigkeit!

WERTUNG: 10 von 10 lebendigen Hummern auf Eis
TEXT © Gregor Torinus
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Dein Kommentar >>
toxic | 12.10.2010 17:45
Sehr guter Film, aber für mich kein 10er.
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Nic | 07.10.2010 16:35
ein reizender Krimidrama, unterhaltungswert ja, kunstwert naja. die stimmung passt und die schauspieler enttäuschen nicht.
7/10
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