OT: Occhiali neri
GIALLO: I, 2022
Regie: Dario Argento
Darsteller: Ilenia Pastorelli, Asia Argento, Mario Pirrello, Xinyu Zhang
In Rom geht ein Serienmörder um, der reihenweise Prostituierte umbringt. Auch die blinde Sexarbeiterin Diana gerät ins Visier des mysteriösen Killers.
Es gibt wohl kaum ein größeres Kompliment für einen Regisseur, als zum Inbegriff eines Genres zu werden. Bei der Erwähnung des Namens Dario Argento denken wohl die meisten direkt an das Genre des Giallo - diese italienische Ausprägung des Psycho-Thrillers war vor allem in den 70er und 80er Jahren sehr populär und zeichnete sich häufig durch eine sehr explizite Darstellung von Gewalt aus. Dabei drückte kaum jemand anderes dem Giallo derart seinen Stempel auf als eben jener Dario Argento. Dabei ist die Story meistens eher Nebensache, vielmehr steht bei Argento-Filmen die kunstvolle Art der Inszenierung im Mittelpunkt.
Besonders ersichtlich wird dies an seinem größten Hit Suspiria (1979), dessen Strudel aus eindrücklichem Sounddesign und expressiven Einsatz von Farben (besonders Rot, Grün, Blau und Violett in all ihren Variationen haben es Argento angetan) einen als Zuschauer vollkommen in den Bann ziehen und man die Augen nicht mehr vom Schirm lösen kann. Mit der Fortsetzung Inferno (1980) trieb Argento dieses Prinzip noch weiter und erschuf einen surrealistischen Fiebertraum voller einzigartiger und unvergesslicher Sequenzen. Gemeinsam mit dem sehr trashigen Mother of Tears (2007) bilden diese Filme die sogenannte Hexen-Trilogie von Dario Argento, welche eher im Fantasy-Horror-Bereich anzusiedeln sind und tendenziell weniger mit dem klassischen Giallo zu tun haben.
In die Giallo-Kategorie fallen Meisterwerke wie Opera (der Zuschauer wird bei den grausamen Morden zum Voyeur und es werden einem im wahrsten Sinne des Wortes die Augen geöffnet), Tenebrae (selten wurde ein spritzender Blutschwall derart kunstvoll in Szene gesetzt) oder auch Phenomena (einer der skurillsten Argento-Filme in dem Jennifer Conelly u.a. mit Insekten (!) kommuniziert). Diese Filme stammen alle aus dem Höhepunkt von Argentos Schaffensphase, doch wie so oft bei großen Horror-Regisseuren stellt das Spätwerk der großen Namen im Horror-Fach nicht unbedingt ein Ruhmesblatt in der jeweiligen Filmografie dar - John Carpenter und Tobe Hooper lassen grüßen.
Auch Dario Argento stellt in dieser Hinsicht bedauerlicherweise keine Ausnahme dar, seine letzten Filme waren keine Highlights (um es vorsichtig zu formulieren). Umso größer war jetzt die Spannung im Vorfeld seines neuen Films Dark Glasses (dem ersten seit zehn Jahren), ob er mit der Rückkehr zum klassischen Giallo auch wieder die qualitative Trendwende schafft. Doch solche Hoffnungen werden von Dark Glasses bitter enttäuscht, der Film ist nichts anderes als ein 08/15-Slasher, dem jedweder Esprit, frische Ideen, neue Ansätze oder kunstvolle Extravaganz fehlt, wie man es eigentlich mal von Argento gewohnt war. Zudem wirkt der Film sehr billig inszeniert und an einigen Stellen wird übermäßig deutlich, dass Argento wohl nicht das allergrößte Budget zur Verfügung hatte - kein Vergleich zu den epischen Sets eines Suspiria oder Inferno.
Die Darstellerinnen und Darsteller sind zwar allesamt redlich bemüht, reißen aber auch keine Bäume aus. Immerhin blitzt bei der Inszenierung der wirklich sehr blutigen und expliziten Tötungsszenen immer mal wieder das einstige Genie von Dario Argento durch, doch dies allein ist natürlich deutlich zu wenig, um über die ansonsten geradezu aggressive Belanglosigkeit des Plots hinwegzutäuschen.
Argentos Erbe lebt zwar zweifellos weiter im Schaffen (jüngerer) Regisseure, welche offensichtlich vom Giallo-Meastro beeinflusst wurden und ihm durch Referenzen in ihren eigenen Filmen die Ehrerbietung erweisen (wie etwa Edgar Wright in seinem optisch stark an Suspiria angelehnten Horrorfilm Last Night in Soho, in welchem sogar ein Tanz-Club mit dem klingenden Namen Inferno prominent in Szene gesetzt wird), allerdings sollte der Altmeister selbst angesichts seiner jüngsten wenig berauschenden Werke wohl über den wohlverdienten Ruhestand nachdenken, denn seine Glanzzeiten scheinen tatsächlich unwiderruflich vorbei.
Außer ein paar blutig inszenierten Kills und einer grundsätzlich interessanten Dynamik zwischen den Hauptfiguren hat Dark Glasses leider nicht viel mehr als gähnende Langeweile zu bieten. Dario Argento liefert einen in jeder Hinsicht austauschbaren Slasher von der Stange, dem jede Handschrift des Meister-Regisseurs fehlt, und der im untersten Regal der Horror-Abteilung der örtlichen Videothek (oder neuerdings im Streaming) wohl besser aufgehoben wäre als im Kino.