ACTIONTHRILLER: A/D, 2016
Regie: Stefan Ruzowitzky
Darsteller: Violetta Schurawlow, Tobias Moretti, Robert Palfrader, Sammi Sheik, Verena Altenberger, Nursel Köse, Murathan Muslu
Taxifahrerin Özge wird zufällig Zeugin eines Ritualmordes. Der Killer hat sie gesehen und jagt sie durch die Stadt. Personenschutz wird der jungen Frau verweigert. Sie ist auf sich allein gestellt. Und sie muss um ihr Leben kämpfen ...
Hupende Autokolonnen stauen durch nächtliche Straßenschluchten, Neonlichter brechen sich im regennassen Asphalt, und wenn ich richtig gehört habe, dringt da gar im Hintergrund ein Saxophon aus dem Autoradio. Es kommt wirklich nicht alle Tage vor, dass ein österreichischer Film Martin Scorseses TAXI DRIVER schön grüßen lässt. Doch hier sitzt nicht Robert De Niro am Steuer, sondern die türkische Taxifahrerin Özge, gespielt von Violetta Schurawlow.
Die bislang unbekannte, aus Usbekistan stammende Hauptdarstellerin ist die größte Sensation dieses Films. Violetta Schurawlow hat eine gewaltige Leinwandpräsenz. Mit jeder Szene, in der sie zu sehen ist, reißt sie den Film an sich. Dieser Frau sollte man besser nicht blöd kommen. Sie spricht wenig, fixiert dich mit zornigem Blick aus dunkel umrandeten Augen - und haut dir unvermittelt eine in die Goschen. Echte Actionhelden machen das so: Schweigen, schauen, zuschlagen.
Auch vor Tobias Moretti muss man den Hut ziehen. Der ehemalige Lieblings-TV-Kommissar der Nation, der längst zum Charakter-Mimen (DAS FINSTERE TAL) avancierte, schlüpft hier in die Rolle eines arschlöchrigen Wiener Chauvi-Kieberers. Doch diese Rolle ist wesentlich vielschichtiger, als man auf den ersten Blick vermuten möchte.
Ein urbaner Thriller schwebte Regisseur Stefan Ruzowitzky vor, ein Actionfilm mit Schauplatz Wien. Ruzowitzky ist zweifellos einer der fähigsten Genre-Fachkräfte des Landes. Seine ANATOMIE-Auftragsarbeiten fand ich persönlich zwar nicht so toll, aber sie haben die Kinokassen zum Klingeln gebracht. Der Alpenwestern DIE SIEBTELBAUERN (1998) hat einen Fixplatz auf meiner Lieblingsfilm-Liste, und COLD BLOOD (2012) war ein beachtlicher, wenn auch leider etwas untergegangener Hollywood-Thriller. Und da war noch dieser Oscar-Film.
Fünf Millionen Budget und mehrere Wochen Drehzeit: Für österreichische Verhältnisse ist DIE HÖLLE eine Großproduktion. Das Geld wurde grundvernünftig investiert, in rasante Verfolgungsjagden, Stunts und Explosionen nämlich. "Hollywood in Vienna" ist das aber nicht, glücklicherweise. Der Film macht nämlich seinem Titel alle Ehre und legt eine Härte und Ruppigkeit an den Tag, die sich gewaschen hat. Auch wenn er als urbaner Action-Thriller vermarktet wird, steht DIE HÖLLE Serienkiller-Flicks derberen Zuschnitts wie MANIAC deutlich näher, als, sagen wir, einer Kino-Variante vom TATORT. In den Mordszenen blitzen gar Referenzen an Giallo-Klassiker auf.
Und gleichzeitig setzt er der Stadt Wien ein filmisches Denkmal: Eine moderne, urbane Metropole voller harter Kontraste. Wo außerhalb der innerstädtischen Bobo-Biotope praktisch jeder irgendeinen Migrationshintergrund hat. Erstaunlich auch (und wohl nur für Wiener erkenntlich), dass die Actionsequenzen locationtechnisch absolut stimmig sind. Ein Beispiel: Wenn eine Verfolgungsjagd am Ring beginnt und sich der Wagen am Schwedenplatz überschlägt, muss die Protagonistin über die Augartenbrücke flüchten, wo sie dann im Donaukanal landet.
DIE HÖLLE ist meines Wissens der erste deutschsprachige Film überhaupt, der eine feministische Muslima - die freilich auf Religion pfeift - als Actionheldin positioniert. Und die Identität des Killers - die hier natürlich nicht gespoilert wird - könnte auch noch für Diskussionen sorgen.
UPDATE 16.2.2017. Ich habe mir DIE HÖLLE eben ein zweites Mal angesehen. Eigentlich ist das gar nicht der Action-Knaller, als der er vermarktet wird - wiewohl die Verfolgungsjagden, Prügeleien und Stunts natürlich rocken. Hartes, urbanes Thriller-Drama im Geiste von Abel Ferrara, mit einem Schuss Giallo-Flair und der Extraportion Wien-Lokalkolorit würde es eher treffen. Und irgendwie ist es auch ein Liebesfilm. Wenn Violetta Schurawlow einmal lächelt, geht im Kinosaal die Sonne auf.
Serienkiller-Hatz in Wien, von Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky wie nicht anders erwartet souverän in Szene gesetzt. Sensationelle Hauptdarstellerin, Spannung satt, forcierter, nahezu giallo-esker Härtegrad, und eine kontroverse Geschichte: Einen Film wie DIE HÖLLE hat es in Österreich noch nie gegeben.
In diesem Sinne: "Is des lustig, des Türken-Boxen?" - "Thai-Boxen!"