THRILLER: USA, 2018
Regie: Francis Lawrence
Darsteller: Jennifer Lawrence, Joel Edgerton, Matthias Schoenaerts, Charlotte Rampling, Jeremy Irons
Die Karriere der Primaballerina Dominika Egorova endet mit einem schmerzhaften Unfall auf der Bühne des Moskauer Bolschoi-Theaters. Ihr Onkel Vanya, ein hohes Tier beim Spionage-Dienst SWR, macht ihr ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann: Dominika tritt in die Sparrows-Schule ein, wo junge Agentinnen lernen, ihren Körper als Waffe einzusetzen.
Es gibt da so eine Theorie, die ich gerade aufgestellt habe: Gute Kinojahre beginnen mit einem guten Jennifer Lawrence-Film. Nehmen wir zum Beispiel 2016: Im Jänner startete JOY - ALLES AUSSER GEWÖHNLICH. War ein toller Film. Und gleich darauf kamen THE REVENANT, THE HATEFUL 8, THE LOBSTER, ANOMALISA, ROOM, MIDNIGHT SPECIAL, THE LIGHT BETWEEN OCEANS, ARRIVAL und viele, viele andere großartige Leinwand-Erlebnisse.
2017 ist mit einem mittelmäßigen Jennifer Lawrence-Film gestartet. PASSENGERS hieß er, und das Kinojahr 2017 war vergleichsweise mittelmäßig geblieben. Von unbestreitbaren Highlights wie DIE HÖLLE, BABY DRIVER, WONDER WOMAN, ATOMIC BLONDE und MOTHER! (ebenfalls mit Jennifer Lawrence) abgesehen.
Nun schreiben wir das Jahr 2018. Und ich wage zu behaupten, dass dieses Jahr, das wieder mit einem tollen Jennifer Lawrence-Film gestartet ist - ja, wir sprechen von RED SPARROW - den qualitativ betrachtet so ziemlich spektakulärsten Start seit Menschengedenken hingelegt hat. Ich meine: THE KILLING OF A SACRED DEER. THE SHAPE OF WATER. WIND RIVER. THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI. PHANTOM THREAD. Ein Spitzenfilm nach dem anderen, und wir haben gerade erst Anfang März. Irre, oder?
Aber lassen wir jetzt die nerdigen Aufzählungen und kommen wir endlich zum Kern der Sache. RED SPARROW ist super. Lasst euch bitte nicht von miesepetrigen, moralinsauren Verrissen den Spaß an diesem durch-und-durch unkorrekten, sexuell aufgeladenen, edel-schundigen, saubrutalen Spionage-Thriller nehmen. Ich meine: Wenn User auf IMDB Dinge schreiben wie "I want my money back" oder "A fail that should come with a severe trigger warning.", weiß man eh, wie viel es geschlagen hat. Dabei sollte das Prädikat "Rated R for strong violence, torture, sexual content, language and some graphic nudity" eh schon Trigger-Warning genug sein. Oder eben eine dringende Empfehlung, das ist letztlich nur Ansichtssache.
Mir hat der Film jedenfalls total getaugt, wie man das bei uns sagt. War auch keine Überraschung, hat mich ja schon der Trailer total gekickt. Obwohl er einen nicht ganz korrekten Eindruck vermittelt. So actionreich, wie der Trailer vermuten lässt, ist der Film nämlich ganz und gar nicht. In Wahrheit ist die Action äußerst minimalistisch dosiert. Ganz anders als in ATOMIC BLONDE, einen meiner Lieblingsfilme von 2017, mit dem RED SPARROW gerne verglichen wird. Ein Vergleich, der natürlich auf diversen Ebenen hinkt. RED SPARROW spielt nicht in den Achtzigern, sondern in der Jetzt-Zeit. Putin-Ära. "Der Kalte Krieg ist nie wirklich zu Ende gegangen. [...] Doch der Westen ist schwach geworden. Die Menschen werden mit sozialen Medien abgelenkt und vom Hass zwischen den Rassen zerfressen", lautet der nicht ganz falsche Befund, gelassen ausgesprochen von einer ziemlich unheimlichen Charlotte Rampling, die hier eine auf Ostblock-Ilsa macht.
An superen Typen sind noch Jeremy Irons, Joel Edgerton und Matthias Schoenaerts dabei. Letzterer spielt ein hohes Tier beim russischen Auslandsgeheimdienst SWR und wurde lustigerweise optisch auf eine junge Ausgabe von Putin getrimmt. Was ja insofern stimmig ist, als ja der russische Präsident tatsächlich aus dem Geheimdienst-Apparat kommt und als Spion im Westen eingesetzt wurde.
Weniger stimmig fand ich die geniale Blitzidee, die Russen in Moskau miteinander Amerikanisch mit russischem Akzent sprechen zu lassen und mit einem doofen "fremdländischen" Gangster-Akzent zu synchronisieren. Und ja: Eine Spur zu überladen und verwirrend kommt die Geschichte rüber, der man anmerkt, dass sie auf einer Romanvorlage basiert.
Was mir hingegen tatsächlich die Kinnlade auf Kniehöhe kippen ließ, sind die Szenen in der Sparrow-Schule. Ich will nichts spoilern, aber wenn empörte IMDB-User "Exploitative, Sleazy, Anti-Feministic" scheiben, liegen sie wohl nicht ganz falsch. Ja, es gibt hier ziemlich unangenehme Darstellungen von sexualisierter Gewalt gegen Frauen, und ich denke, ich kann mir den Disclaimer sparen, dass derartiges im echten Leben natürlich verabscheuungswürdig as fuck ist. Aber wie schon in den umstrittenen Rape-and-Revenge-Filmen der Seventies verharrt die Titelfigur nicht in der Opferrolle und dreht den Spieß irgendwann um. Mit unschönen Konsequenzen für ihre Peiniger, so viel sei verraten ...
Es ist schon erstaunlich: Die bestbezahlte Schauspielerin des Planeten gibt sich für einen eiskalten, sexuell aufgeladenen, politisch durch-und durch unkorrekten und knüppelharten Spionage-Thriller her, bei dem man verwundert die Augen reibt und sich fragt, wie zur Hölle ein derartiges Projekt in Zeiten von #metoo durchgewunken werden konnte. Arger Film.