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Orgasmo

Orgasmo

GIALLO: ITALIEN, 1968
Regie: Umberto Lenzi
Darsteller: Carroll Baker, Lou Castel, Colette Descombes, Tino Carraro

STORY:

Kathryn West ist vor kurzem Witwe geworden und hat ein beträchtliches Vermögen geerbt. Eines Tages steht ein junger Mann namens Peter mit einer Autopanne vor der Tür und fragt höflich an, ob er kurz das Telefon benutzen dürfte. Aus der Notlage wird eine leidenschaftliche Affäre und der fremde Mann lässt sich in Kathryns Villa häuslich nieder. Und lädt irgendwann rotzfrech die laszive Eva ins Haus. Die Witwe und ihre beiden Dauergäste lassen es eine Zeit lang krachen: Die Nächte sind lang und angereichert mit Discobesuchen, Sex und vor allem viel Alkohol. Doch die Party endet abrupt und Kathryns Gäste zeigen ihr wahres Gesicht. Die Witwe wird vorsätzlich unter Drogen gesetzt und zur Gefangenen im eigenen Haus. Und Peter und Eva machen Kathryns Leben fortan zur Hölle…

KRITIK:

Wer aufgrund des bedeutungsschwangeren Titels angenommen hat, wir hätten das Schmuddelbüffet wieder eröffnet, kann die Hose wieder zumachen: ORGASMO entstammt nicht dem Adultbereich unserer Filmsammlung, sondern ist vielmehr der Erste im Quartett von Umberto Lenzis stilvoll inszenierten Spätsechziger/Frühsiebziger-Thriller mit Carroll Baker in der Hauptrolle.

Die amerikanische Aktrice war ohnehin eine Giallo-Queen der ersten Stunde, bevor sie das Krönchen in den frühen Siebzigern an Kolleginnen wie Edwige Fenech und Susan Scott weitergeben hat.

Fürs Genre entdeckt wurde sie von Meister Lenzi und mit dem Auftritt in ORGASMO hat sich die Baker die Rolle der wohlhabenden Blondine, die in die mörderischen Komplotte der Reichen, Schönen und Geldgierigen verstrickt wird, quasi abonniert. Es verwundert kaum, dass eine Dame mit solchen Referenzen in den Folgejahren stets erste Wahl war, wann immer ein italienischer Regisseur dieses Sujet beackert hat. Und letzteres passierte in den Jahren 1968 bis 1971 recht häufig. Somit ist Carroll Baker nicht nur in Lenzis stilistisch und inhaltlich stark verwandten Nachfolgethrillern COSÌ DOLCE…COSÌ PERVERSA (1969) und PARANOIA (1970) zu sehen, sondern auch im ähnlich gelagerten SWEET BODY OF DEBORAH von Romolo Guerrieri aus dem Jahr 1969.

Mit der Verpflichtung Bakers hat Lenzi zweifelsohne ein glückliches Händchen bewiesen, doch man fragt sich, welcher Teufel den alten Meister geritten hat, den Part des unwiderstehlichen Witwentrösters ausgerechnet an einen wie Lou Castel zu vergeben. Castel (hier mit Charme und Frisur eines englischen Fußballschlägers) ist nicht nur kein Pitt des Genres, sondern in diesem Fall auch glatt fehlbesetzt. Zumal auch seine schauspielerische Leistung zu wünschen übrig lässt. Zwar hat Lenzi aus diesem Fehler gelernt und die Beau-Rollen in seinen späteren Gialli mit gut aussehenden und talentierten Typen wie Jean Sorel und Ray Lovelock sehr viel weiser besetzt, aber was nützt dies ORGASMO. Das Kind liegt im Brunnen. Mit einem Castel, der sich in diesem Film als ständiger Störfaktor erweist; als Kaffeefleck auf schöner Leinwand. Zu allem Übel spielt er auch noch eine tragende Rolle und hat somit viele Szenen, die mit einem Sorel oder Lovelock weitaus besser funktioniert hätten. Und damit besitzt ORGASMO ein nicht unerhebliches Handicap. Da danken wir den Göttern für Carroll Baker.

In ORGASMO verkörpert La Baker allerdings nur in der ersten Stunde die gewohnte blonde Eleganz. Dann entfalten die heimlich mit halluzinogenen Substanzen versetzten Drinks ihre verheerende Wirkung und die reiche, schöne Witwe verwelkt langsam, aber sicher physisch und psychisch zum Drogenzombie. Quasi: CARROL B. - WIR WITWEN VOM BAHNHOF ZOO in der Endsechziger-Giallovariante. Zuvor jedoch versuchen ihre beiden diabolischen Hausfreunde und Giftmischer sie auch mittels Musik zu zermürben. Was sich auf Papier ein bisschen lächerlich anhört, ist in Wahrheit ein äußerst perfides und effizientes Instrument des Psychoterrors. Spätestens, wenn zum fünften Mal "Just tell me" von Wes & the Airdales erklingt, wird dies jeder, der ORGASMO gesehen und vor allem gehört hat, mit Schrecken bezeugen können.

Doch der Orgasmus (des Bösen) entwickelt sich langsam. Vom Tempo her ist Lenzis erster Giallo mit dem geläufigeren SWEET BODY OF DEBORAH vergleichbar. Und der ist bekanntlich alles andere als rasant. So beginnt auch ORGASMO recht verhalten, mit rar gesäten Höhepunkten. Zu denen zählt gar der angedeutete Blümchensex zwischen Baker und Castel und das mag für vieles, nur nicht für den Suspensegehalt des Plots sprechen. Erst als Castels (von der hübschen Französin Colette Descombes gespielte) Komplizin dazustößt, kommt langsam Bewegung in die Sache. Insgesamt dauert es dann doch eine kleine Ewigkeit, bis die Stimmung ins Unangenehme kippt und die Tour de Force mit einer schön psychedelischen Sequenz drogenverzerrter Wahrnehmung richtig eingeläutet wird.

Doch dann weht ein neuer Wind durch ORGASMO und der ist jetzt deutlich kühler. Wenn nicht eisig. Kompromittierende Fotos und ein nerviger Wes & the Airdales-Song sind dann wirklich noch die kleineren Übel im Leben von Kathryn West. Mit ein paar ausgesuchten Gemeinheiten (Kröten und Gürtelhieben) werden endlich die Ausrufezeichen gesetzt, die man zuvor vermisst hat. Höhepunkt der Perfidie ist da sicherlich die eine besonders kaltblütige Szene, welche einem kurz vor Abspann noch mal den Atem stocken und für einen Augenblick sogar Lou Castels störende Anwesenheit vergessen lässt. Das nennt man wohl konsequent böse.

PS: Damit keine Missverständnisse aufkommen: Im Soundtrack ist auch der "Mozart of Lounge" Piero (5 DOLLS FOR AN AUGUST MOON) Umiliani zu hören und trägt sein musikalisches Scherflein zu der durchweg eleganten Fotografie von Guglielmo Mancori bei. Im Gegensatz zur bemitleidenswerten Carroll Baker wird man als Zuschauer also nicht permanent mit drittklassigen Popsongs aus den 60s gefoltert…

Orgasmo Bild 1
Orgasmo Bild 2
Orgasmo Bild 3
FAZIT:

ORGASMO nennt sich der erste von insgesamt vier Gialli, die Umberto Lenzi mit dem einstigen Hollywood-Star Carroll Baker gedreht hat. Leider gibt es selbst für eingefleischte Genrefans keine Orgasmo-Garantie, aber die hatte La Baker in ihrer Sexszene mit Lou Castel gewiss auch nicht. Nicht zuletzt wegen Lou Castel, der sich als glatte Fehlbesetzung erweist und dem etwas zu gemächlichen Spannungsaufbau ist ORGASMO wohl der schwächste Film im Quartett der Lenzi/Baker-Kollaborationen. Dennoch: Als man schon fast die Hoffnung aufgegeben hat, kriegt auch ORGASMO in seiner letzten halben Stunde noch die Kurve vom eleganten, aber behäbigen Thriller zum perfiden Verschwörungsalptraum.

WERTUNG: 6 von 10 Kröten zum Abendessen
TEXT © Christian Ade
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Marcel | 09.05.2012 11:24
War für mich die letzte fehlende Lenzi- und auch der letzte fehlende Baker-Giallo-Lücke, die ich gestern schließen konnte. Ich mag Chris aber nicht zustimmen, dass es der schlechteste der vier Lenzi-Baker-Zusammenarbeiten ist. Ich mag sie irgendwie alle, dieser vermag mit seinen psychedelischen Szene zu packen. Wenn überhaupt einer aus dem Quartett heraussticht, dann Cosi dolce cosi perversa, weil er noch besser fotografiert ist als dieser.
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